Audiowalks. Audio-what?!
Was sind Audiowalks?

Audiowalks. Audio-what?!
Was sind Audiowalks?

Audiowalks. Audio-what?!
Was sind Audiowalks?
1920 706 Sophie Burger

Früher habe ich nicht von Audiowalks gesprochen, wenn ich Storydive vorgestellt habe, weil kaum jemand das Wort kennt. Stattdessen habe ich zum Beispiel gesagt: “ein Hörspiel zum Mitlaufen” oder “ein Point-and-Click-Adventure in der Stadt”. Dass Audiowalks so unbekannt sind, wird sich aber erst ändern, wenn mehr Menschen wissen, was es damit auf sich hat.

Warum kann ich einen Audiowalk nur an einem ganz bestimmten Ort hören?

Es ist verrückt: ich schreibe und produziere seit mehr als 10 Jahren Audiowalks, aber wenn mich jemand fragt, was es damit auf sich hat, habe ich immer noch keine passende Erklärung parat. An und für sich ist das Wort selbsterklärend: Audio + Walk, das hat einerseits mit Hören und andererseits mit Gehen zu tun. Die Übersetzung “Hörspaziergang” gefällt mir auch ganz gut. Andererseits bringt dich dieses Wort nicht unbedingt weiter, wenn du noch nie einen Hörspaziergang gemacht hast. Das liegt daran, dass ein Audiowalk in erster Linie eine Erfahrung ist, die erst durch das besondere Zusammenspiel von Gehen und Hören entsteht. 

Die erste Frage, die mir Menschen zum Thema Audiowalk stellen, ist oft: warum kann ich die Geschichten nicht einfach zuhause hören? Oder warum kann ich unterwegs nicht einfach ein Hörbuch hören? Anders gesagt: wie bringe ich Hören und Laufen konkret zusammen? 

Hier kommt der Ort ins Spiel, an dem du gehst und hörst. Audiowalks funktionieren meist entlang einer ganz bestimmten Route. Der Grund dafür ist, dass sie sich auf ihre Umgebung beziehen. Audiowalks werden für das Hören vor Ort geschrieben. Die Umgebung kann dabei zum Schauplatz einer Geschichte werden, der du während des Laufens lauschst. Dadurch bekommst du das Gefühl, dich mitten im Geschehen zu befinden. Du kannst die Bewegungen der Figur nachverfolgen und mitempfinden. Dabei deuten Audiowalks das Geschehen um dich herum um. Was du hörst verschmilzt mit dem was du siehst zu einer neuen Realität. Die zweite wichtige Verbindung zwischen Gehen und Hören ist also, wie du beides in deiner Wahrnehmung zusammenbringst. Deshalb werden Audiowalks oft auch nicht als rein auditives, sondern als audiovisuelles Medium beschrieben. Ich würde sie zum Beispiel eher mit Filmen als mit Hörbüchern vergleichen. 

Audiowalks führen dich zwar an echte Orte, anders als zum Beispiel eine Stadtführung erklären sie diese Orte aber nicht, sondern schaffen eine ganz eigene Wirklichkeit. Beim Hören nimmst du deine Umgebung bewusst wahr. Gerade dass Audiowalks oft an gewöhnlichen Orten stattfinden, macht sie so faszinierend. Es ist, als hielte man den Schlüssel zu einer anderen Welt in der Hand. Irgendwie magisch. 

Der Walkman Effekt

Vielleicht kennst du dieses Gefühl: du sitzt im Zug, schaust aus dem Fenster und hörst Musik. Auf einmal – oder ganz nebenbei – scheint sich deine Umgebung mit dem, was du hörst, zu synchronisieren. Die Strommasten rauschen im Rhythmus der Drums an dir vorbei. Während der Bridge wandelt sich die Landschaft von Wald zu Feldern und Wiesen. Als der Chorus ansetzt, erhebt sich ein Vogelschwarm. Der Moment ist perfekt, alles passt und die Welt um dich herum existiert nur für dich.

Bestimmt kennst du das Gefühl. Es stellt sich auch im Auto, in der U-Bahn oder beim Joggen und Spazierengehen ein, wo du den Rhythmus auf deine eigenen Bewegungen übertragen kannst. Manchmal auch, während du an einem belebten Platz auf jemanden wartest. Für mich ist es einer der Hauptgründe, warum ich unterwegs Musik höre. 

Michel Gondry hat dieses Gefühl für sein Musikvideo zu Star Guitar von den Chemical Brothers in Bilder umgesetzt. 

Als es der Walkman Mitte der 80er erstmals möglich machte, mobil Musik zu hören, prägte der Sozialwissenschaftler Shuhei Hosokawa den Begriff “Walkman Effekt”, um zu beschreiben, wie das neue Medium die Wahrnehmung veränderte. Nach der Einführung der Technologie wurden nämlich bald Stimmen laut, dass Walkmanhörer*innen den Kontakt zur Realität verlören und eine Gefahr für die Gesellschaft darstellten. Die Hörer*innen wiederum beschrieben tatsächlich ein gesteigertes Gefühl von Kontrolle und Autonomie – allerdings machte sie das zufriedener und ausgeglichener. Mit einem eigenen Soundtrack unterwegs zu sein, bedeutet, die eigenen Emotionen und Bewegungen bewusster steuern zu können. Ganz so, als könne man endlich Regie über das eigene Leben führen. 

Diese Synchronisierung von dem was du hörst mit deiner Umgebung ist auch das große Geheimnis, beziehungsweise die Super Power von Audiowalks, denn sie ermöglicht das Verschmelzen von Realität und Fiktion. 

Die Stimme in deinem Ohr

Während des Audiowalks gehst du eine besondere Beziehung mit der oder den Stimmen ein, die du über Kopfhörer hörst. Diese Stimme leitet dich durch die Geschichte – sie ist Erzählerin, Figur, Regisseurin und Wegbegleitung in einem. Sie gibt dir genaue Anweisungen, wie du dich durch den Raum bewegst und wohin du deinen Blick lenkst. Hältst du dich an diese Anweisungen, spürst du eine faszinierende Synchronisation zwischen dir, der Erzählung und deiner Umgebung. 

Schön daran ist auch, dass sich dieses Erlebnis im Geheimen abspielt. Für die anderen um dich herum bist du einfach ein*e Passant*in mit Kopfhörern. Du erlebst die Geschichte allein oder mit wenigen Eingeweihten zusammen. Das kann sich anfühlen, als sei alles um dich herum für diesen Augenblick geschaffen: du bist zur richtigen Zeit am richtigen Ort, es passt einfach. Das lässt dich den Ort mit neuen Augen sehen. 

Das Verhältnis, das du zu der Stimme in deinem Ohr entwickelst, kann vielschichtig sein. Einerseits hast du die Kontrolle: du entscheidest, wo du hingehst und wie du dich dabei verhältst. Andererseits musst du der Stimme folgen, um die Geschichte weiter hören zu können. Was nun, wenn dich die Figur zur Komplizin bei einer Sache macht, die dir nicht geheuer ist? Andererseits, was soll schon passieren? Schließlich ist alles nur Fiktion – nicht wahr? Dieses Spiel zwischen dir und der Stimme macht einen Audiowalk zusätzlich spannend. Interaktive Audiowalks bieten sogar die Möglichkeit, dass du selbst durch Wegentscheidungen über den Verlauf der Story mitbestimmst. 

Im Hier und Jetzt

Was mir an Audiowalks besonders gut gefällt, ist, dass sie einen sehr sinnlichen Zugang zu Geschichten und Orten ermöglichen und gleichzeitig Raum für die eigene Vorstellung lassen. Es fühlt sich einfach anders an, sich durch eine Geschichte hindurch zu bewegen und die Handlungen der Hauptfigur mit allen Sinnen nachzuvollziehen, als nur darüber zu lesen oder davon zu hören. Und obwohl das Erlebnis sehr intensiv ist, bietet es eine Pause von der visuellen Reizüberflutung der Bildschirme um uns herum. Für mich bedeuten Audiowalks auch immer Zeit zum Reflektieren. Ein Audiowalk schafft eine Situation, in der ich mich bewusst mit mir selbst und meinem Verhältnis zu meiner Umgebung auseinandersetze. Anders als Musik oder Podcasts höre ich Audiowalks nicht mal eben nebenbei, sondern konzentriere mich dabei voll aufs Hören. 

Wie funktionieren Audiowalks? 

Stell dir vor, du hast dir die Storydive App zuhause runtergeladen und eine Geschichte in deiner Nähe ausgesucht. Die Geschichte hast du schon vorgeladen, damit du unterwegs kein Datenvolumen benötigst. Dann hast du dir deine Kopfhörer geschnappt und dich auf den Weg zum Startpunkt gemacht. Unterwegs hast du dir eine kurze Anleitung angehört und jetzt stehst du am Startpunkt, einer Straßenbahnhaltestelle in der Innenstadt, und wartest, dass es losgeht. Dein Handy steckt in deiner Tasche, denn die Geschichte wird komplett über Audio erzählt. Innerhalb der nächsten 45 Minuten folgst du einfach der Stimme in deinem Ohr. 

Der Audiowalk startet damit, dass dein alter Schulfreund Tom aus der Bahn steigt und ihr euch begrüßt. Du bist erst neulich hergezogen, und kennst hier niemanden außer ihm. Er hat vorgeschlagen, dir ein bisschen die Stadt zu zeigen. Was dann folgt, ist ein Spaziergang durch verlassene Hinterhöfe und heruntergekommene Passagen. Tom scheint sich in den vergangenen Jahren ganz schön verändert zu haben, und bis kurz vor Ende weißt du nicht, ob er dich auf die Schippe nimmt, als er dir erzählt, er sei hier in Szenen aus einem Kinofilm hineingeraten. Ein Erlebnis, das sein Leben vollständig umgekrempelt hat.

Der Film, den Tom meint selbst erlebt zu haben, ist natürlich Matrix, ein Film in dem die Realität nur eine Simulation ist. Die Geschichte heißt „Moviefy me“ und spielt mit eben diesem Gedanken – was wenn alles um dich herum für diesen Moment inszeniert ist?

Wieso Storydive?

Ganz einfach: wir möchten euch mit unserer Begeisterung für das Format Audiowalk anstecken. Bis wir Storydive ins Leben gerufen haben, gab es keine überregionale Plattform speziell für Audiowalks und erst recht keine für interaktive Audiowalks. Einzelne Audiowalks werden zum Beispiel über Theater oder Museen angeboten, dabei muss man sich häufig zu bestimmten Zeiten Geräte ausleihen oder Audiodateien aufs eigene Handy laden und manuell abspielen. Manche Audiowalks sind auch gut versteckt zwischen Audioguides und Stadtführungen in diversen Apps zu finden. Das alles hilft nicht gerade dabei, einem viel zu wenig bekannten Format zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen. 

Angefangen hat Storydive mit dem Ziel, gute Audiowalks auf einfache und intuitive Art zugänglich zu machen. Wir schreiben und produzieren nach wie vor selbst Audiowalks, verstehen Storydive aber auch als Plattform, auf der du ganz unterschiedliche Audiowalks von Autor*innen aus verschiedenen Städten findest. Da das Format nicht nur bei Hörer*innen viel zu wenig bekannt ist, sondern es auch noch nicht viele Urheber gibt, war der naheliegende nächste Schritt, Autorinnen und Autoren Werkzeuge zur Hand zu geben, um selbst Audiowalks zu schreiben und zu veröffentlichen. 

Storydive Schreibworkshop

Ich teile mein Wissen über Audiowalks mit dir, damit endlich mehr Menschen das Format für sich entdecken können. In meinem Blog Storydive Schreibworkshop schreibe ich darüber, wie du deine eigenen Geschichten in Form von Audiowalks erzählen kannst. Es geht darum, wie du von der ersten Idee bis zum fertigen Audiowalk kommst, und was du beim Schreiben beachten musst. Vor allem will ich dabei zeigen, wie viele Möglichkeiten sich beim Schreiben von Audiowalks ergeben. Das mache ich anhand von Beispielen aus unseren schon umgesetzten Produktionen. Ich stelle dir Schritt für Schritt vor, was einen guten Audiowalk ausmacht und gebe dir Ideen mit, wie du die Besonderheiten des umgebungsbezogenen Erzählens für dein eigenes Erzählen nutzen kannst.

Du kannst Storydive-Methoden übrigens auch nutzen, wenn du gar keinen Audiowalk schreibst, sondern einfach mal anders ans Schreiben herangehen möchtest und auf der Suche nach neuen Ideen bist.

Lies mehr über die Geschichte von Audiowalks und die Entstehung von Storydive.

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