Audiowalks für überall
Teil 2 - Erkenntnisse aus dem Beta-Testing mit dem Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO)

Audiowalks für überall
Teil 2 - Erkenntnisse aus dem Beta-Testing mit dem Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO)

Audiowalks für überall
Teil 2 - Erkenntnisse aus dem Beta-Testing mit dem Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO)
1920 706 Sophie Burger

In Teil 1 dieses Blogbeitrags erfährst du, welche Herausforderungen sich auf technologischer Ebene, aber auch im Hinblick aufs Schreiben eines Audiowalks für überall ergeben haben und mit welchen Strategien wir ihnen begegnet sind. Im zweiten Teil geht es nun darum, wie unsere Beta-Tester*innen den Audiowalk erlebt haben und was wir aus den Workshops mit ihnen lernen konnten.

Der Testablauf

Das Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart unterstützt im Rahmen des Projektes Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrum Usability Unternehmen in gemeinsamen Pilotprojekten zum Thema User Experience. Dabei geht es nicht um gängige Usability Tests, mit denen User Interfaces oder User Flows optimiert werden sollen, sondern um einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem die Bedürfnisse der Nutzer*innen während des gesamten Erlebnisses untersucht und Nutzer*innen in den Gestaltungsprozess von interaktiven Produkten und Services mit einbezogen werden. Wenn du mehr über den Aufbau und Ablauf der Evaluation unseres Audiowalks wissen möchtest, schau dir den Projektbericht von Anne Elisabeth Krüger vom IAO an.

Bei der Auswahl der Tester*innen war uns wichtig, dass unterschiedliche Einstellungen und Erfahrungsgrade zu Audio-Erzählformaten und Location Based Services vertreten waren. Den Audiowalk legten wir in die Wohnorte der Tester*innen. Die einzige Ausnahme: Eine Testerin war zum Zeitpunkt des Tests zu Besuch in einer anderen Stadt. Sie und ein weiterer Teilnehmer, der gerade erst umgezogen war, kannten sich also vor Ort nicht aus, während die sechs übrigen Tester*innen grundsätzlich mit dem Ort vertraut waren. Die fünf Städte waren: Berlin (3x), Frankfurt (2x), Stuttgart, Köln und Hannover. Nach dem Test, den jede*r Tester*in selbständig mit der Storydive App durchführte, haben wir uns in zwei Gruppen in Onlineworkshops über die Erfahrung ausgetauscht.

Unser Fokus für die Workshops lag auf zwei Fragen:

  1. Wie kann eine Umgebungsinteraktion mit generischen Schauplätzen idealerweise aussehen und worauf kommt es dabei an?
  2. Welche Bedürfnisse gibt es im Hinblick auf Entscheidungsmöglichkeiten, die den Geschichtenverlauf verändern?

Weitere Themen waren die Erwartungen an das Erlebnis sowie äußere Bedingungen wie beispielsweise das Wetter, die Umgebungslautstärke und auch, ob sich die Hörer*innen vor Ort auskannten und wohlfühlten.

Drei Nutzertypen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen

Gleich zu Beginn der Workshops sprachen wir über die Erwartungen an das Erlebnis und inwieweit sie erfüllt worden waren. Dabei zeigte sich, dass es im Grunde drei unterschiedliche Schwerpunkte gab:

  1. Fokus auf die Geschichte
  2. Fokus auf die besuchten Orte
  3. Fokus auf die Selbstwahrnehmung

Während für Teilnehmende, die den Fokus auf die Geschichte legten, neben der Story vor allem die Entscheidungsmöglichkeiten auf inhaltlicher Ebene von Bedeutung waren, wollten diejenigen, für die die Orte im Fokus standen a) neue Orte entdecken und b) etwas über die neu entdeckten Orte lernen und die Teilnehmenden, deren Fokus auf der Selbstwahrnehmung lag, waren gegenüber Umgebungsinteraktionen besonders aufgeschlossen.

Erwartungsgemäß konnten diejenigen, die gehofft hatten, etwas über bestimmte Orte zu erfahren, nicht ganz so viel mit dem Audiowalk anfangen, der sich ja nur auf generische Orte bezog. Gut kam hier aber beispielsweise eine Szene mit zwei Straßenlaternen an, in der allgemeines Wissen über den Ortstypen Straßenlaterne vermittelt wurde. Trotzdem: bei diesen Tester*innen ging die Einschätzung teilweise dahin, dass sie die Geschichte ebenso gut zuhause auf der Couch hätten hören können.

Ganz anders ging es denjenigen, für die die Selbstwahrnehmung im Mittelpunkt stand. Für sie war die Umgebungsinteraktion das Wichtigste am Erlebnis. Sie hätten sich noch mehr solcher Interaktionsangebote, dafür aber weniger Vorgaben durch die Geschichte gewünscht. Die Story wurde teilweise als vernachlässigbar oder gar einschränkend beschrieben, gut kamen hingegen Szenen an, in denen Claire oder die Erzählstimme über das Wesen von Zufall und Schicksal und deren Einfluss auf die Kunst oder die Hörsituation nachdachten. Teilnehmer*innen aus dieser Gruppe tendierten dazu, auf die Erzählebene um Jim und Gina zu verzichten und entweder nur mit der Erzählstimme oder mit dieser und Claire gemeinsam unterwegs zu sein.

Tester*innen, für die die Geschichte im Vordergrund stand, hätten demgegenüber gern mehr Zeit mit Jim und Gina verbracht und dafür auch auf die Erzählstimme verzichtet. Für sie waren die Szenen, in denen sie sich in eine der beiden Filmfiguren versetzen konnten, die bedeutsamsten, und sie machten sich auch die meisten Gedanken darüber, ob es ihnen gelungen war, die passenden Schauplätze dafür auszuwählen. Nicht nur das, sie waren auch eher dazu bereit, weitere Wege auf sich zu nehmen, um die Geschichte an einem passenden Ort zu hören. Für diese Gruppe waren außerdem Genrekonventionen wichtig – wie zum Beispiel das Happy End für Jim und Gina.

Wir sind diesen drei Nutzertypen und den damit einhergehenden Erwartungen schon früher bei lokalen Audiowalks begegnet, die tatsächlich oft alle drei Aspekte bedienen können, auch wenn die Wissensvermittlung über Orte bei uns generell nicht im Fokus steht. Bei Audiowalks für überall müssen wir in Zukunft noch klarer kommunizieren, dass diese nicht auf spezifische Orte eingehen können. Interessant war für mich, dass das Bedürfnis, etwas über die eigene Umgebung zu lernen, auch auf generische Orte anwendbar ist und durchaus mit einbezogen werden kann.

Im direkten Gegensatz zueinander scheinen die Interessen bei Hörer*innen mit Fokus auf die Story und solchen mit Fokus auf die Selbstwahrnehmung zu stehen. Hier bleibt für mich die Frage, ob ich beide Bedürfnisse innerhalb desselben Audiowalks bedienen kann, oder ob ich mich lieber jeweils auf eine der beiden Zielgruppen konzentriere.

Die Bedeutung des Startpunktes

Egal, wie die Erwartungen zu Beginn aussahen, stimmten alle dabei überein, dass der Startpunkt einen großen Einfluss auf die Erwartungen und die Stimmung zu Beginn der Geschichte habe und daher auf irgendeine Art besonders oder bedeutungsvoll sein sollte. Für den Test hatten wir den Audiowalk jeweils nur mit einem Startpunkt pro Stadt lokalisiert. Die Tester*innen hätten sich jedoch gewünscht, das Stadtviertel, in dem sie die Geschichte erleben, selbst auswählen zu können. Als Faktoren, wonach sie den Startpunkt auswählen würden, nannten sie die Vertrautheit mit dem Viertel und dass sie sich dort wohlfühlen sowie den eigenen Entdeckergeist. Dabei käme je nach Stimmung das eigene Viertel oder aber ein bislang wenig erkundetes Viertel infrage.

Hier waren sich die Tester*innen einig

Einige Punkte wurden durchweg als positiv und andere als negativ beschrieben:

Positive Erlebnisse waren:

  • einen neuen schönen oder interessanten Ort entdecken
  • Zufallsbegegnungen mit anderen Passanten

Negative Erlebnisse waren:

  • das Gefühl, dass die eigene Entscheidung keine Konsequenzen für die Geschichte hat
  • wenn sich die Tester*innen an einem Schauplatz oder in einem Viertel nicht wohl oder sicher fühlten
  • wenn die Erzählstimme ein indirektes Interaktionsangebot machte, bei dem die Tester*innen nicht wussten, ob sie es wahrnehmen sollen, oder nicht, oder wenn sie ein Interaktionsangebot zurücknahm (was an Stellen vorkam, an denen ich zunächst Wegentscheidungen geplant, dann aber aus Zeitgründen wieder gekürzt hatte).

Geschichteninteraktionen brauchen nachvollziehbare Konsequenzen

Jedes Mal, wenn die Hörer*innen innerhalb des Audiowalks zwischen zwei Schauplätzen entscheiden können, geht die Geschichte danach einen anderen Weg. Die Erzählung teilt sich an der Stelle der Entscheidung in zwei Teile und beide Teile muss ich jeweils einzeln konzipieren und schreiben. Je früher und je öfter sich die Geschichte also aufsplittet, umso mehr Textmaterial muss ich schreiben. Da wir vor dem Test nicht wussten, ob und wie unser Konzept aufgehen würde, habe ich beschlossen, den Aufwand für die Interaktion erstmal gering zu halten, aber trotzdem Entscheidungsmöglichkeiten einzubauen, um herauszufinden, wie sie bei den Tester*innen ankommen. Insgesamt gibt es daher in jedem Strang nur zwei Entscheidungsmöglichkeiten: eine relativ am Anfang und eine gegen Ende.

Im Workshop stellte sich heraus, dass die Interaktionen bei den Tester*innen unterschiedlich gut angekommen waren, und zwar, je nachdem, wie ihre erste Entscheidung ausgefallen war. Die Gruppe, die sich bei der Wahl zwischen Bibliothek und Café für die Bibliothek entschieden hatte, folgte von dort aus Ginas Perspektive. Für diese „Gina-Gruppe“ ging es danach mit dem Münze Werfen und der Straßenlaterne weiter. Die Gruppe, die sich hingegen für’s Café entschieden hatte, erlebte die Geschichte danach aus Jims Perspektive. Vom Café aus ging es auch für die Jim-Gruppe weiter zur Bibliothek, dann zu einer Drogerie und einem Kiosk. Dabei hörten sie eine komplett andere Geschichte und besuchten ganz andere Schauplätze, als die Gina-Gruppe, waren aber durchweg überzeugt, ihre Entscheidung habe keine Konsequenzen für die Geschichte gehabt, ja, sie sei lediglich ein Umweg gewesen.

Die Folgen für die weiteren Interaktionen waren, dass diese kaum angenommen wurden, weil es, so ein Teilnehmer, ja “egal” sei, wie er sich verhalte. Das Interessante war, dass die Teilnehmenden der Jim-Gruppe in der Folge nicht nur Geschichtenentscheidungen weniger positiv bewerteten, sondern auch Angebote für Interaktionen mit der Umgebung nicht annahmen. Dabei bezogen sie sich viel stärker als die Gina-Gruppe auf den Funktionsumfang der App: Interaktionen, die die App nicht messen oder ”kontrollieren” konnte, ließen sie aus. Beispielsweise beschrieb ein Teilnehmer aus der Jim-Gruppe, dass er nach dem letzten Auslösepunkt nicht mehr weitergelaufen sei, weil er die Geschichte ja auch im Stehen zu ende hören konnte. Ein anderer sagte, er habe sich beim Laufen nicht an die Vorschläge zum Richtungswechsel gehalten, weil die App darauf ja keinen Zugriff habe und das Verhalten also ohne Konsequenzen für die Geschichte sei. Die Teilnehmenden fühlten sich hier viel weniger als Teil der Erzählung, als die Teilnehmenden aus der Gina-Gruppe. Als dort beispielsweise die Aufgabe anstand, den Abstand zwischen zwei Straßenlaternen mit den eigenen Schritten zu messen, wurde das durchweg als eine sehr positive und involvierende Erfahrung empfunden, obwohl die Anzahl der Schritte ebenso wenig Einfluss auf die Geschichte nehmen konnte, wie die beiden oben beschriebenen Situationen.

Was wir daraus gelernt haben: auch wenn eine Entscheidung weitreichende Konsequenzen für die Geschichte hat, kann es sein, dass die Hörer*innen sie nicht so wahrnehmen. Die Konsequenz selbst muss innerhalb der Geschichte deutlich werden, sonst fühlen sich die Hörer*innen um ihren Einfluss betrogen und verlieren Vertrauen in die Erfahrung. Sie sind dann weniger dazu in der Lage, sich selbst als elementaren Bestandteil dieser Erfahrung wahrzunehmen und konzentrieren sich mehr auf Äußeres wie Handlung und Technologie. Im entgegengesetzten Fall führte eine gelungene Geschichteninteraktion dazu, dass auch andere Formen von Interaktion positiv wahrgenommen wurden.

Weniger komplex erzählen, dafür der Erzählung mehr Zeit lassen

Wie oben bereits beschrieben, wären einige Tester*innen lieber nur mit Claire und den Figuren oder nur mit der Erzählstimme unterwegs gewesen. Die Aufteilung in drei Erzählebenen stellte sich als zu komplex heraus – für die Tester*innen war es teils schwierig, zwischen den einzelnen Ebenen zu unterscheiden. Dafür war meine Befürchtung, die einzelnen Ebenen könnten für sich nicht tragen, unbegründet. Ich bin beim Schreiben zum Beispiel dem Auserzählen der Liebesgeschichte aus dem Weg gegangen, weil die Geschichte für mich in erster Linie Aufhänger für den Dialog zwischen Claire und Hörer*in und die Umgebungsinteraktionen war. Das Genre habe ich gewählt, weil seine Konventionen bekannt und vorhersehbar sind und ich hier die Möglichkeit gesehen habe, die Erzählung abzukürzen (im Hintergrund immer die Sorge, dass sich die Hörer*innen an einem Schauplatz die Beine in den Bauch stehen). Durch den Test aber wurde mir klar, dass diese Ebene für Tester*innen mit Geschichtenfokus ganz klar im Mittelpunkt steht (obwohl auf der zweiten Ebene im Dialog mit Claire ebenfalls eine Geschichte erzählt wird, die ich als die Haupthandlung begreife) und nur funktioniert, wenn ich sie entsprechend ernst nehme und ihr mehr Raum gebe.

Weniger Einmischung, mehr Empathie

Ein weiterer Punkt, den ich beim Schreiben zunächst unterschätzt habe, war, wie wichtig die Anerkennung der Hörer*innenperspektive für ein positives Erlebnis ist. Diese Beobachtung betrifft die Erzählstimme und war vor allem den Tester*innen mit dem Fokus auf Selbstwahrnehmung wichtig. Die Stimme, die ich den Hörer*innen in der ersten Testfassung zur Seite gestellt habe, kommentiert die Geschehnisse oft ironisch und weist immer wieder auf Unstimmigkeiten im Verhalten der Figuren hin, indem sie den Zuhörer*innen kritische Fragen in den Mund legt und diese dann selbst beantwortet. Doch vor allem die Antworten störten die Immersion und machten den Hörer*innen die eigene Position umso bewusster – ein Impuls zum Widerspruch machte sich bemerkbar und die anfängliche Identifikation mit dem “Du”, als das sie angesprochen wurden, ging nach und nach verloren.

Während ich davon ausgegangen war, dass es sich dabei um ein fiktives Du handelt, das ebenso Teil einer fiktionalen Geschichte ist, wie die anderen Figuren, wollten die Hörer*innen als sie selbst Teil der Geschichte werden. Nicht wenigen kam die Erzählstimme, die das Geschehen ordnete und dabei eben oft auch jenseits der eigenen Wahrnehmung einordnete, unsympathisch oder bevormundend vor. Wichtiger als eine in sich geschlossene Handlung war es diesen Tester*innen, sich selbst in der Geschichte zu verorten. Die Offenheit der Erzählung, die für mich beim Schreiben immer wieder zur Herausforderung wurde, störte sie also gar nicht – im Gegenteil: hier fanden sie Platz für eigene Beobachtungen. Die Erzählstimme wird in der nächsten Fassung daher mehr offene Fragen stellen und weniger Antworten geben.

Wie geht es jetzt weiter?

Auf die beiden Workshops mit den Tester*innen folgten zwei Concept Board Sessions zur Auswertung und eine Expertenevaluation durch Anne Elisabeth Krüger vom IAO. In den Concept Board Sessions trugen wir zunächst Beobachtungen aus den Workshops zusammen, sortierten sie und leiteten dann Handlungsempfehlungen für die Überarbeitung des Prototypen daraus ab. Über einige der Ergebnisse habe ich oben bereits geschrieben, darüber hinaus ging es um die Frage, wie wir das Erlebnis in Zukunft rahmen können, um klarer zu kommunizieren, was die Hörer*innen erwartet, wie stark sie die Erfahrung mitgestalten können und was sie dafür brauchen.

Aktuell überarbeiten wir die Geschichte, und werden im Sommer ein offenes Beta-Testing in verschiedenen Städten anbieten. Wenn du dabei sein möchtest, schreib uns gerne!

Bis dahin werden wir auch die Technologie erweitern, sodass wir unterschiedlich lange Wege besser abfangen können und die Darstellung der möglichen Schauplätze auf der interaktiven Karte verbessern. Auch das war ein Wunsch unserer Tester*innen, bei denen ich mich an dieser Stelle nochmal ganz herzlich für die Teilnahme und den offenen Austausch bedanken möchte.

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