Um unsere Arbeit und das Format Audiowalk weiterzuentwickeln, beschäftigen wir uns regelmäßig mit Projekten und Akteur*innen aus angrenzenden Bereichen wie zum Beispiel Theater, Game, Augmented und Virtual Reality. Daher freuen wir uns besonders, dass wir uns dank des Förderprogramms “Cultural Bridge” mit Produced Moon austauschen können, die in all diesen Bereichen arbeiten. Wie dabei gerade ein neues Audio-Format entsteht, könnt ihr in unserem Erfahrungsbericht mitverfolgen.
It’s a Match!

Im Sommer 2022 lernen wir Mel Frances und Leonie Rae Gasson bei einem Online-Match-Making der EU kennen. Mel und Leo leiten das Mixed Reality Theaterlabor Produced Moon in Glasgow und arbeiten wie wir an der Schnittstelle von Performance und Technologie. Wie wir schaffen sie interaktive und immersive Erfahrungen für ihr Publikum, nutzen dafür aber andere Mittel. Weil die Zeit nicht zu mehr als einem kurzen Chat reicht, verabreden wir uns zum Zoomen.
Nach dem nächsten Treffen ist klar: wir möchten gern im Austausch bleiben und voneinander lernen. Wie wunderbar, dass das Programm Cultural Bridge genau dies ermöglicht! Cultural Bridge ist ein gemeinsames Förderprogramm vom Fonds Soziokultur, dem British Council und dem Goethe Institut und unterstützt Kunst- und Kulturorganisationen in Großbritannien und in Deutschland dabei, Partnerschaften zu entwickeln. Der Fokus des Programms liegt auf partizipativen Praktiken, also Projekten, die Künstler*innen zusammen mit Laien umsetzen. Im Herbst bewerben wir uns, im Januar flattert die Zusage ins Haus, im März geht es los!
Mit dem Medium Audiowalk spielen
Unser Austausch läuft unter dem Titel “Playing with Audio Walks”. Gemeinsam möchten wir das Potenzial von Audiowalks für partizipative, interaktive Projekte erkunden und treffen uns dafür für jeweils drei Tage in Glasgow und Hamburg. Doch erstmal geht es online los und wir bereiten jeweils eine Sitzung vor, in der wir einen kurzen Überblick über unsere bisherigen Projekte und unsere Arbeitsweise geben. Danach diskutieren wir über die Werte, die hinter unseren Praktiken stehen, und darüber, wie wir einen aktiven Dialog über Antirassismus und Barrierefreiheit führen können.
Im Juli verbringen wir dann drei gemeinsame Tage in Schottland bei Platform, einem Kulturzentrum im Glasgower Vorort Easterhouse. Wir starten mit einem Austausch über bisherige Projekte und testen einige der VR-Anwendungen, mit denen Produced Moon arbeitet. Mit dabei: Libby Odai, die ebenfalls im Bereich Performance und Technologie arbeitet und von Produced Moon als Gastkünstlerin eingeladen ist.
Audiowalk trifft Schnitzeljagd
Hörspaziergänge und Augmented Reality (AR) haben einige Gemeinsamkeiten, über die ich hier bereits geschrieben habe. Bei einer gemeinsamen Umgebungserkundung rund um Platform entscheiden wir uns aber für einen praktischen Vergleich von Audiowalk und Schnitzeljagd – ein Format, das Produced Moon häufig in der partizipativen Arbeit mit Jugendlichen einsetzt und das dem Audiowalk auf den ersten Blick recht ähnlich ist: beide finden draußen statt, in beiden müssen nacheinander unterschiedliche Orte aufgesucht werden. Der offensichtliche Unterschied: Während der Weg im Audiowalk durch die Narration vorgegeben ist, muss sie bei der Schnitzeljagd erst durch Rätsellösen gefunden werden.
Beim Ausprobieren werden weitere Unterschiede offensichtlich: während Schnitzeljagden in der Gruppe gespielt werden und dabei auf die Kommunikation im Team angewiesen sind, isolieren die Kopfhörer beim Audiowalk die Hörer*innen voneinander, was die Kommunikation während des Hörens erschwert. Wir denken über verschiedene Lösungsansätze nach, um beide Formate zusammenzubringen: Soll die Gruppe bei einem Audiogame gemeinsam über Lautsprecher zuhören oder tragen die Spieler*innen Kopfhörer und müssen ohne Sprache miteinander kommunizieren? Geht es bei dem Erlebnis mehr um die Story und die Rätsel schalten neue Schauplätze frei, oder stehen die Aufgaben im Mittelpunkt? Und wenn mehrere Gruppen gegeneinander antreten, nehmen sie sich dann überhaupt Zeit, der Geschichte zu lauschen, oder möchten sie so schnell wie möglich zur nächsten Aufgabe, um zuerst ans Ziel zu gelangen?
Brücken bauen? Welten bauen!

Ein weiterer Schwerpunkt unseres Austauschs ist das Thema Weltenbau und Multiversen. Mit Virtual Reality schaffen wir verschiedene 3D-Umgebungen, die wir nacheinander erkunden. Am letzten Tag veranstalten wir einen offenen Workshop für Kinder, in dem wir mit einer einfachen Aufgabe dazu einladen, eigene Welten zu entwerfen.
Auf einem Blatt Papier stehen die folgenden Sätze:
Was! So etwas wie _____________ gibt es nicht. Aber keine Sorge, es gibt eine Menge _____________. Ohren sind __________. Jeder hat drei ____________.
Die Kinder können zufällig Zettel mit von uns vorbereiteten Wörtern ziehen oder die Lücken selbst füllen. Es entstehen Welten, in der es keine Schule gibt, dafür aber jede Menge Löwen. Die Ohren sind das Meer und jede*r hat drei Ameisen. Zu den dabei entstandenen Szenarien malen die Kinder Bilder, basteln Skulpturen und schreiben Kurzgeschichten. So entsteht ein Mini-Multiversum, das wir am Ende ausstellen.
Vom Audiowalk zum Audio Hunt

Der zweite Teil unseres Austauschs findet Anfang September in Hamburg statt. Diesmal ist Esther Kaufmann am ersten Tag mit dabei, Autorin und Theatermacherin für ein junges Publikum. Bei schönstem Wetter hören wir gemeinsam Hammer&Egg in der Hafencity – für diesen interaktiven Hörspaziergang von Hella Lux haben wir die Storydive App um die Möglichkeit erweitert, auf Echtweltparameter wie Wetter, Uhrzeit oder Wochentag einzugehen. Nach dem Hören überlegen wir uns weitere Anwendungsfälle, wie Live-Daten einen Audiowalk sinnvoll beeinflussen können. Können sie eine Rolle in dem neuen Format spielen, das wir mittlerweile – in Anlehnung an “scavenger hunt”, das englische Wort für Schnitzeljagd – “Audio Hunt” nennen?
Projekt F – der Audiowalk, der Hamburg für immer verändert

Den zweiten Tag verbringen wir auf dem Gelände von Kampnagel, wo wir innerhalb weniger Stunden einen Audiowalk in Form eines ortsbasierten Podcasts improvisieren und aufnehmen. Gemeinsam denken wir uns “Projekt F” aus, den besten oder schlechtesten Hörspaziergang aller Zeiten (je nachdem, wen man fragt), der so wirkungsvoll war, dass die Stadt Hamburg zum Sperrgebiet wurde. Der Podcast dokumentiert ein Treffen der vier an Projekt F beteiligten Künstler*innen in der Geisterstadt Hamburg, die sich über Zäune und Mauern an den Ort vorgekämpft haben, an dem vor wenigen Jahren alles begann. Die vier erinnern sich an Projekt F und die Folgen. Hier geht’s zum Podcast!
Am letzten Tag brainstormen wir weiter über das neue Format Audio Hunt und besuchen dann die Ausstellung “Cotton under my Feet” von Walid Raad in der Kunsthalle Hamburg. Der Künstler verbindet auf einer Audiotour verschiedene Kunstwerke, die er in einer lang verschollenen Sammlung entdeckt haben will, und verknüpft Realität und Fiktion dabei kunstvoll.
Wie geht’s weiter?
Die zweite Residenz ist vorbei, doch unsere Zusammenarbeit fängt gerade erst an: Im Herbst 2023 bewerben wir uns mit “An Audio Hunt in Easterhouse” auf eine Folgeförderung bei Cultural Bridge und beim internationalen Kulturaustausch Hamburg – 2024 wollen wir in Glasgow einen ersten Audio Hunt gemeinsam mit Jugendlichen entwickeln. Wieder klappt es mit der Förderung.
An dieser Formatentwicklung arbeiten wir nun seit April und sind dafür bereits ein weiteres Mal nach Glasgow gereist. Bis jetzt verläuft das Projekt vielversprechend – und ganz anders als geplant. Wie das? Davon erzähle ich ein andermal.