Smartphone und Internet werden oft als Ablenkungsmittel und Aufmerksamkeitsfresser verstanden, doch bei der Produktion von Audiowalks nutzen Kinder und Jugendliche ihr Handy, um die Aufmerksamkeit auf die eigene Umgebung zu richten und diese intensiver wahrzunehmen. Was braucht es dafür, wie viel Zeit solltest du einplanen und für welche Altersgruppen eignen sich Audiowalk-Workshops?
Anwendungsfelder
Die Möglichkeiten von Audiowalks könnt ihr mit wenig Aufwand ausprobieren und die Produktion an eure Bedürfnisse anpassen – je nach Alter, Gruppengröße, verfügbarer Zeit, vorhandener Technik und Interesse der Teilnehmer*innen. Audiowalks bieten sich für eine prozessorientierte Zusammenarbeit an – jeder Arbeitsschritt ist anders und fördert unterschiedliche Interessen und Fähigkeiten.
Kinder und Jugendliche können dabei ihre Umgebung besser kennenlernen und bewusster wahrnehmen, selbst Geschichten schreiben oder improvisieren, eine Audioproduktion umsetzen und lernen, wie sie das Ergebnis am Ende in eine App packen, so dass andere die eigene Geschichte nacherleben können.
Mit welcher Altersgruppe kannst du Audiowalks umsetzen?
Du kannst den Produktionsprozess gut auf das Alter der Teilnehmenden anpassen. Die Teilnehmenden der unserer Workshops sind in der Regel zwischen 10 und 18 Jahre alt, wobei wir den Workshop auf die jeweilige Altersgruppe zuschneiden.
10 – 14 Jahre
Kinder zwischen 10 und 14 Jahren erfinden Geschichten spontan oder mit einem vorbereiteten Choose-your-own-Adventure Skript direkt vor Ort. Dafür müssen sie keine Texte schreiben und vorlesen und können frei improvisieren. Die Weganweisungen können sie entweder direkt mit einsprechen oder – zum Beispiel über eine Erzählstimme – nachträglich einfügen.
So entstand zum Beispiel “Das neue Schauen”, ein Audiowalk in der Karlsruher Dammerstocksiedlung im Rahmen von 100 Jahre Bauhaus. Kinder aus der Siedlung beschäftigten sich in einem Workshop mit verschiedenen Freizeitaktivitäten und Spielorten im Dammerstock. Dafür suchten sie in Kleingruppen öffentliche Orte und interviewten sich dort gegenseitig. Sie erzählten, wie sie auf den Kirchentreppen BMX-Tricks übten, warum sie sich auf dem Spielplatz nicht willkommen fühlten, wie sie ihren letzten Kindergeburtstag gefeiert hatten und wo man die schönsten Instaphotos machen könne, probten Demosprüche für den nächsten Klimastreik, machten sich auf die Suche nach Spuren von anderen Kindern und erfanden das Spiel “Gärten bewerten”. Die dabei entstandenen Audio-Aufnahmen ordneten wir gemeinsam den Orten, an denen sie aufgenommen wurden, zu und ergänzten sie um Weganweisungen und eine Erzählstimme zu einem etwa halbstündigen Hörspaziergang.
15 – 18 Jahre
Mit Jugendlichen ab 15 Jahren ist eine aufwändigere Produktion möglich. Die Jugendlichen erkunden zunächst den Ort und recherchieren zu ihrem Thema, verfassen dann ein eigenes Skript, sprechen verschiedene Rollen ein und können in der Postproduktion Geräusche, Effekte und Musik einfügen. Da der Text nicht direkt vor Ort entsteht, ist es wichtig, auf das Timing zu achten und Wegbeschreibungen in das Skript einzufügen.
Für “Geschichte(n) auf neuen Wegen” setzten Bundesfreiwillige in einem einwöchigen Workshop drei Audiowalks zu NS-Opferbiographien in Karlsruhe um. Bereits vor dem eigentlichen Workshop recherchierte die Gruppe zum Leben von Karlsruher Bürger*innen, die im Nationalsozialismus ermordet wurden. Sie rekonstruierten, wo diese Menschen gelebt und gearbeitet hatten, wo sie zur Schule gegangen waren und welche Wege sie vermutlich Tag für Tag zurückgelegt hatten.
In einem der dabei entstandenen Audiowalk, “Geist der Erinnerung” kehrt Julius Hirsch, 1943 in Ausschwitz ermordet, als Geist in seine alte Heimat zurück. Der ehemalige Nationalspieler war 31 Jahre lang engagiertes Mitglied des lokalen Fußballclubs KFV, ehe er den Verein 1933 schweren Herzens verlassen muss. Der DFB hatte im Zuge der Arisierung den Ausschluss aller jüdischen Spieler aus deutschen Fußballvereinen verordnet. Als Route wählte die Gruppe den Fußweg von Hirschs Wohnung zum ehemaligen Gelände des Vereins, wo heute eine Straße und eine Gedenktafel an ihn erinnern. Hirsch erzählt von seinem Leben vor 1933, vom Ausschluss aus dem öffentlichen Leben, der Abkehr seiner Kollegen und von seiner Deportation. Er sucht nach Zeichen, dass die Menschen aus der Geschichte gelernt haben. Hoffnung gibt ihm schließlich die Diversität der Bewohner*innen des Stadtviertels, und dass an ihn erinnert wird.
Wie groß sollte die Gruppe sein?
Wir haben mit Kleingruppen von drei bis fünf Teilnehmenden gute Erfahrungen gemacht und größere Gruppen für die einzelnen Aufgaben entsprechend auf mehrere Kleingruppen aufgeteilt. In einer Gruppe mit 12 Teilnehmenden sind zum Beispiel drei unterschiedliche Audiowalks entstanden.
Was für Technik benötigen wir für die Audiowalk-Produktion?
Das hängt von der Umsetzung ab. Zur Grundausstattung gehört mindestens ein Smartphone und ein Computer. Für eine bessere Audioqualität solltet ihr ein Mikrofon und/oder ein Aufnahmegerät verwenden. Generell gilt: je mehr Geräte zur Verfügung stehen, umso mehr Teilnehmer*innen können sich gleichzeitig am jeweiligen Produktionsschritt beteiligen.
Zum besseren Vergleich der unterschiedlichen Aufnahmetechniken haben wir Samples aufgenommen. Alle Samples sind im selben, normalen Raum (kein Studio) aufgenommen und nicht nachbearbeitet.
Am niederschwelligsten ist die Aufnahme mit der Diktiergerätfunktion des Smartphones. Bei der Aufnahme sollte der Toneingang relativ nah an den Mund des bzw. der Sprecher*in gehalten werden. Das kann ablenken und sorgt für eine wechselnde Tonqualität, wenn die Teilnehmenden das Handy mal näher und mal weiter weg halten, was beim Laufen und Improvisieren schnell passiert.
Verwendet daher wenn möglich Headset- oder Ansteckmikros. Auch hier gibt es welche, die sich ans Smartphone als Aufnahmegerät anschließen lassen – dafür muss das Smartphone über einen Kopfhörerausgang verfügen. Der Vorteil dieser Mikros ist, dass sie immer im gleichen Abstand zum Mund bleiben und schnell in Vergessenheit geraten, so dass es den Teilnehmenden leichter fällt, spontan drauflos zu sprechen.
Alternativ könnt ihr diese Mikros an ein Aufnahmegerät anschließen. Die Marke Zoom bietet mit dem H1n ein sehr gutes Preis-Leistungsverhältnis. Dank eines integrierten Mikrofons könnt ihr es auch zum direkten Einsprechen verwenden.
Für die Aufnahme in einem Aufnahmeraum könnt ihr statt eines Ansteck- oder Headsetmikros auch ein normales Studiomikrofon verwenden. Montiert dieses Mikro auf einem Stativ und passt es in der Höhe an die Größe der Sprecher*in an, der oder die direkt hinein spricht. Hier hilft ein sogenannter Pop-Schutz dabei, die Störgeräusche zu minimieren.
Und so klingt die Aufnahme mit dem Studiomikro dann nach dem Mastering:
Wie wirkt sich die technische Ausstattung auf den Workshop aus?
Die technischen Möglichkeiten haben also durchaus Einfluss auf die Qualität des Endergebnisses. Wichtiger ist aber die Frage danach, inwiefern sie auch bestimmte Arbeitsweisen nahelegen.
Steht zum Beispiel nur ein Mikro zur Verfügung, ist es schwierig, in einer großen Gruppe an einem Projekt zu arbeiten, bei dem improvisiert werden soll. Dann gibt es in der Regel ein großes Durcheinander und diejenigen, die ihre Ideen nicht direkt einbringen können, verlieren das Interesse. Besser hingegen funktioniert es in dieser Situation, wenn ihr mit einem Skript arbeitet, in dem verschiedene Rollen vergeben werden. Die Aufnahmen der einzelnen Sprechparts findet dann nacheinander in einem abgetrennten Raum statt, in dem sich nur der oder die aktuelle Sprecher*in und ein bis zwei Unterstützer*innen für Technik und Regie befinden. Die übrigen Teilnehmenden können zeitgleich bereits am Rohschnitt und an den Metadaten arbeiten.
Das bedeutet andersherum: soll ein Audiowalk vor Ort improvisiert werden, ist es besser, auf mehrere nicht ganz so hochwertige Mikros (wie zum Beispiel auf eine Aufnahme über das integrierte Smartphonemikro) zu setzen, anstatt mit einem einzelnen hochwertigen Mikrofon zu arbeiten. Je weniger Gedanken sich die Teilnehmenden während der Aufnahme über die Technologie machen müssen, umso leichter fällt es ihnen, sich auf das Spiel einzulassen und frei und locker zu sprechen. Je stärker die Technik hingegen die Aufmerksamkeit auf sich zieht, umso eher entstehen Gefühle von Unsicherheit und Befangenheit. Wir arbeiten draußen deshalb gern mit Headset- oder Ansteckmikros, auch weil die Störgeräusche der Umgebung hier minimal sind.
Brauchen wir eine Internetverbindung?
Um den Audiowalk über unsere Weboberfläche in die App zu integrieren sowie für den Download von App und Audiowalk benötigt ihr Internet. Zum Hören des Audiowalks braucht es keine Internetverbindung, wobei das Nachladen der Karte nur mit mobilen Daten funktioniert. Das Abspielgerät muss eine GPS-Standorterkennung erlauben.
Wie viel Zeit sollte ich einplanen?
Das Prinzip Audiowalk können Kinder und Jugendliche innerhalb weniger Stunden kennenlernen und ausprobieren. Ein Projekt kann aber auch wesentlich aufwändiger sein wenn du es zum Beispiel als Ferienprogramm oder begleitend über ein Schuljahr umsetzen möchtest. Unsere Workshops haben einen Umfang von 8 – 40 Stunden.
Wie lang sollte ein Audiowalk sein?
Ich empfehle eine Länge zwischen 20 und 35 Minuten. Ist der Audiowalk kürzer, ist es schwierig, eine Geschichte zu entwickeln. Die Länge eures Audiowalks hängt in erster Linie von der verfügbaren Produktionszeit ab, denn je länger der Audiowalk, umso länger dauern auch Audioaufnahme und Schnitt. Auch die Aufmerksamkeitsspanne der Zielgruppe kann eine Rolle spielen.
Zeitaufwand für die Audioaufnahme
Profisprecher haben folgende Faustregel: finale Audiolänge x 3 = Aufnahmezeit im Studio.
Soll der Audiowalk also 30 Minuten lang werden, dauert die Aufnahme ca. 1½ Stunden. Natürlich brauchen Amateur*innen tendenziell ein bisschen länger. Letzten Endes hängt die Aufnahmezeit aber in erster Linie vom Perfektionismus und Qualitätsanspruch der Beteiligten ab. Dabei hilft es, das Sprechen vor der Aufnahme schon gemeinsam zu proben.
Zeitaufwand für den Schnitt
Für den Schnitt gilt: je mehr Material ihr aufnehmt, umso länger braucht es, dieses Material zu sichten und zu schneiden. Wenn ihr für einen halbstündigen Audiowalk zum Beispiel 1½ Stunden Tonmaterial habt, braucht der Schnitt etwa 4½ Stunden. Habt ihr hingegen für den gleichen Audiowalk 3h Rohmaterial, braucht ihr schon 9 Stunden.
Audiowalks in kurzer Zeit umsetzen
Je weniger Zeit du zur Verfügung hast, umso klarer musst du Prioritäten setzen. Definiere feste Zeitfenster für einzelne Aufgaben. Am meisten Zeit brauchen das Verfassen des Skripts, die Aufnahme und der Schnitt. Wenn ihr also nur wenig Zeit zur Verfügung habt, solltest du eine Variante wählen, bei der die Aufnahme spontan vor Ort erfolgt. Das geht nicht nur wesentlich schneller als im Studio, wo die Sprecher*innen Szenen mehrmals wiederholen, bis sie zufrieden sind, es erfordert auch weniger Vorbereitungszeit, weil die Teilnehmenden ohne Skript arbeiten.
Ein weiteres Element, das bei wenig Zeit leicht gekürzt werden kann, ist die aufwendige Nachbearbeitung mit Effekten, Geräuschen und Musik. Wenn die Teilnehmenden sich gerade für dieses Thema besonders interessieren, könnt ihr stattdessen mit einer vorgegebenen Route, bekannten Figuren oder mit einem von dir vorbereiteten Skript im Choose-your-own-Adventure Stil arbeiten.
Arbeitsteilung
Die Gruppen können die meisten Aufgaben parallel bearbeiten. Gibt es nur ein Mikro, kann ein Teil der Teilnehmenden die Postproduktion (Recherche von Geräuschen und Musik) und ggf. die Integration des Audiowalks in die App vorbereiten (Cover, Beschreibungstext, GPS-Koordinaten eintragen), während ein anderer Teil mit den Aufnahmen beschäftigt ist. Sind hingegen mehrere Mikros und Aufnahmegeräte vorhanden, können Teilnehmende Dialoge auch gemeinsam aufnehmen.
Was möchten wir mit dem Audiowalk erreichen und womit starten wir?
Es gibt viele Gründe, einen Audiowalk zu produzieren: die intensive Auseinandersetzung mit einem Ort, sei es mit seiner historischen Bedeutung oder aus einer Wahrnehmungs- oder Beteiligungsperspektive, das Interesse an einem Thema (Auf welchen Wegen bewegt sich Wasser durch die Stadt?, Was bedeutet Heimat für mich? Wie würde eine Filmfigur die “echte” Welt erleben?) oder einer Persönlichkeit (real oder fiktiv), die Lust am Erzählen oder die Faszination für die Möglichkeiten von Audio und Apps.
Ob ihr mit der Ortserkundung oder mit der Storyentwicklung startet, hängt von diesen Faktoren ab. Die jeweilige Herangehensweise hängt davon ab, was für euch den Ausschlag gibt, zusammen einen Audiowalk zu produzieren. Mal steht der Ort von vorneherein fest, mal müsst ihr euch erst auf einen einigen. Mal gibt es vorab eine Recherchephase, mal könnt ihr direkt loslegen.
Außerdem solltest du klären, ob es euch in erster Linie um den Prozess und das gemeinschaftliche Arbeiten, oder um das Endergebnis, also den fertigen Audiowalk geht. Das hat auch damit zu tun, wer den Audiowalk später hören soll. Hören ihn die Teilnehmer*innen und deren Freund*innen und Familie, sind euch vielleicht andere Dinge wichtig, als wenn es darum geht, Politiker*innen von euren Ideen zur Stadtteilentwicklung zu überzeugen. Die zukünftigen Hörer*innen mitzudenken ist auch bei der Storyentwicklung und der Ansprache sinnvoll. Damit sind nicht nur einfache Entscheidungen wie “duzen oder siezen wir die Hörer*innen?” gemeint, sondern auch:
- ob ihr für Menschen produziert, die sich vor Ort auskennen oder nicht,
- die gut zu Fuß sind und vielleicht auch mal rennen oder springen können, oder nicht,
- welche Sprachkenntnisse vorhanden sind (vielleicht entsteht der Audiowalk ja für die französische Partnerschule) oder
- für welche Altersgruppen ihr schreibt (wenn zum Beispiel die Viertklässler*innen einen Audiowalk für die Erstklässler*innen produzieren, um ihnen die Schule vorzustellen)
Mit wem arbeite ich an dem Audiowalk und wie wirkt sich das auf den Prozess aus?
Je nach Alter, Interessen und Stärken der Teilnehmer*innen kannst du die einzelnen Produktionsschritte unterschiedlich gestalten. Überlege dir zum Beispiel, wie die Ortserkundung aussehen könnte und ob ihr ein Skript schreibt, mit einem vorbereiteten Rollenspiel arbeitet oder improvisiert. Überlege welche Kompetenzen du stärken und auf welche Arbeitsschritte du den Fokus legen möchtest. Behalte dabei auch die zur Verfügung stehende Technik und die Umsetzungszeit im Blick.
Du möchtest tiefer ins Thema einsteigen?
Noch mehr Tipps für die Workshopgestaltung findest du in unserem digitalen Handbuch und in unserem kostenlosen Onlinekurs “Mit Orten erzählen – Audiowalks mit Kindern und Jugendlichen entwickeln”, der auf der Lernplattform des Studienzentrums Josefstal erschienen ist. Dort geben wir auch regelmäßig Webinare zu dem Thema – schau einfach mal hier oder schreib uns, wenn du wissen möchtest, wann die nächsten Termine sind.