James Bond auf dem Wochenmarkt
Audiowalks aus bereits verfassten Texten entwickeln

James Bond auf dem Wochenmarkt
Audiowalks aus bereits verfassten Texten entwickeln

James Bond auf dem Wochenmarkt
Audiowalks aus bereits verfassten Texten entwickeln
1920 706 Sophie Burger

In diesem Beitrag geht es darum, einen bereits fertigen Text als Audiowalk zu adaptieren. Du erfährst unter anderem, wieso die Perspektive deiner Figur wichtiger ist als der konkrete Handlungsort und wie du die Funktion von Orten für dein Erzählen nutzen kannst. 

Von der Geschichte aus planen

Du hast einen fertigen Text, den du als Audiowalk adaptieren möchtest. Das kann eine Kurzgeschichte sein oder vielleicht sogar ein Roman. Momentan fehlt dir aber noch die passende Route dazu. Wie findest du eine Route, die zu deiner Geschichte passt?

Schau dir dazu zunächst einmal die Handlungsorte deiner Geschichte an. Gibt es diese oder ähnliche Orte wirklich in der Stadt, für den du den Audiowalk adaptieren möchtest? Wenn ja, lassen sich vielleicht sogar mehrere Orte auf einem Spaziergang verbinden? 

Schauplätze auswählen

Nehmen wir mal an, du hast bereits einen Roman geschrieben, von dem du dir vorstellen kannst, ihn als Vorlage für deinen Audiowalk zu verwenden. Ich gehe hier von einem Roman aus, weil die Probleme, auf die du bei der Übertragung stoßen wirst, mit mehr Text tendenziell größer werden.

Vielleicht interessiert dich eine bestimmte Art von Schauplatz. Zum Beispiel ein Hafen oder ein Wochenmarkt. Vielleicht ist es auch noch konkreter der Hamburger Hafen oder der Wochenmarkt in Frankfurt Bornheim. Als du deinen Roman geschrieben hast, hast du dir diesen Ort schon genau angeschaut und deinen Protagonisten vor deinem inneren Auge dort gesehen. Der Ort hat dich als Handlungsort angesprochen, und vielleicht passt er auch einfach besonders gut, weil viele deiner Figuren sich hier herumtreiben.

Möglicherweise strahlt er auch ein besondere Stimmung aus oder eignet sich einfach besonders gut für eine bestimmte Szene. Sagen wir mal es ist ein überlaufener, unübersichtlicher Ort, und du hast dort eine Verfolgungsjagd wie in einem James Bond Film inszeniert.

Für einen Audiowalk kommen jetzt gleich mehrere Fragen auf. Zum Beispiel: ist der Ort immer voll und unübersichtlich, oder nur von morgens bis zwölf am Mittag? Wie fühlt sich das dann für jemanden an, der den Spaziergang nachmittags um fünf unternimmt, oder abends um neun?

Natürlich muss nicht alles eins zu eins so sein, wie im Audiowalk beschrieben. Unsere Nutzerinnen und Nutzer haben ja auch Fantasie und möchten sich in deine Geschichte hineindenken. Die passende Soundkulisse im Hintergrund unterstützt die Vorstellungskraft außerdem zusätzlich Trotzdem könnte es sein, dass der Ort ganz anders wirkt – eine völlig andere Atmosphäre hat – und das macht es mitunter schwierig, sich in die Geschichte einzufinden.

Schauplatz und Route 

Eine andere Frage ist: von welchen anderen Orten ist dieser Marktplatz umgeben? Auf einem Spaziergang verbindest du immer mehrere Orte miteinander. Es kommt also nicht nur auf den einen, perfekten Handlungsort an, sondern vielmehr auf eine Kombination aus Orten.

Wenn du mit einer bereits verfassten Geschichte startest, wirst du dabei oft auf das Problem stoßen, dass die Orte in deiner Geschichte zu weit auseinander liegen, um Teil desselben Spaziergangs zu sein. Das bedeutet, dass du vielleicht nur einige Orte übernehmen kannst und die anderen Orte entweder anders – über Assoziationen und Erinnerungen – mit einbeziehen musst, oder dass du dich vor Ort nach Alternativen umschaust.

Im Film stehen verschiedene Räume oft für entgegengesetzte Prinzipien. Das Gleiche gilt auch in der Literatur. Ein Beispiel dafür ist Der Herr der Ringe, eine typische Heldenreise, bei der der Held die bekannte Welt verlassen muss, um sie zu retten. Er überschreitet die Grenze ins Unbekannte und sieht sich mit einer Welt konfrontiert, die nach anderen Regeln funktioniert als seine bekannte Welt. Daraus ergeben sich jede Menge Gefahren und Hürden, und nur wenn er diese erfolgreich meistert, kann er am Ende in die eigene Welt zurückkehren. Die unterschiedlichen Räume veranschaulichen diese Schwierigkeiten und Konflikte. Eine Umgebung, die sich entlang der Route verändert, kann dir einerseits helfen, deine Geschichte zu strukturieren und hilft andererseits deinen Zuhörer*innen, Entwicklungen besser zu verstehen. 

Orte bewusst einsetzen

Wenn du deine Route suchst, halte daher auch nach Orten Ausschau, die du einander gegenüberstellen kannst. Du orientierst dich dabei an der Funktion und Wirkung von Orten. Ein Ort, der als Durchgangsstation für Menschen auf ihrem Weg von A nach B fungiert, ist ein anderer als ein Ort, der zum Verweilen einlädt. Ein Ort, der übersichtlich ist, ist ein anderer als einer, an dem du dich nur schwer orientieren kannst, usw.

Überleg dir, an welchen Stellen deine Figur eine wichtige Entscheidung treffen muss oder einen Konflikt erlebt. Hier bietet sich die Gelegenheit, auf deinem Spaziergang eine deutlich wahrnehmbare räumliche Grenze zu überschreiten. Das kann zum Beispiel der Übergang von einer schmalen Gasse auf einen weiten Platz sein, oder der von einem Park auf eine vielbefahrene Straße.

Lass uns jetzt wieder auf unser Szenario mit dem Wochenmarkt zurückkommen: wenn du dir deinen Schauplatz unter den eben beschriebenen Kriterien nochmal anschaust, kann es sein, dass der Ort, den du zuerst gewählt hast, nicht wirklich gut funktioniert. Deshalb musst du deine Idee nicht gleich aufgeben. Aber vielleicht fällt dir ein anderer Ort ein, der besser passt. Zum Beispiel könnte der Wochenmarkt an der Konstablerwache in Frankfurt besser geeignet sein als der in Bornheim.

Sagen wir mal, du hast jetzt eine rudimentäre Route, also das Stadtviertel und ein paar Punkte, an denen du unbedingt vorbeikommen möchtest. Wenn du den Ort schon kennst, kannst du vielleicht auch schon abschätzen, wo du gut mit Übergängen arbeiten und deine Entscheidungen und Konflikte platzieren kannst. Spätestens jetzt solltest du dich auf den Weg zu einer Ortserkundung machen. 

Die Ortserkundung

Viele Autorinnen finden die Ortserkundung toll, weil sie dabei Dinge entdecken, mit denen sie ihre Geschichte weiter anreichern können. Selbst wenn du deine Geschichte bereits als Spaziergang geschrieben hast und dich vor Ort super auskennst – richtig gut wird deine Geschichte nur, wenn du auch vor Ort daran arbeitest. Das ist zum einen für das Timing und zum anderen für die Wegführung wichtig, weil beides sehr präzise sein muss.

Dass du dich vor Ort genau umschaust, ist aber auch schon für die inhaltliche Anpassung deiner Geschichte an die Eigenheiten des umgebungsbezogenen Erzählens nötig. Die Nutzerinnen und Nutzer werden jetzt Teil deiner Geschichte. Sie bewegen sich darin und interagieren selbst mit der Umgebung. Und je mehr Angebote für eine solche Interaktion du ihnen machst, um so mehr werden sie sich in das Geschehen hineinversetzen können.

Das Faszinierende ist, dass diese Interaktion auch rein gedanklich sein kann, zum Beispiel, indem du deiner Figur eine Aufgabe gibst und bestimmte Erwartungen schürst, wie sie damit umgeht. 

Die Handlung straffen

Ein Storydive Spaziergang sollte in sich geschlossen funktionieren, damit die Zuhörer*innen nicht mitten im Geschehen plötzlich sich selbst überlassen werden. Gleichzeitig kannst du auf einem Spaziergang keinen ganzen Roman erzählen. Du musst also eine Auswahl treffen.

Deine Verfolgungsjagd steht aber nicht losgelöst vom Rest des Romans, sondern ist vielleicht eine Art Höhepunkt oder Finale, eine Szene, auf die du lange hingearbeitet hast. Du hast deine Hauptfigur etabliert, hast sie mit anderen Figuren zusammengebracht, hast Konflikte entwickelt und eskalieren lassen. Deine Figur hat eine Geschichte, und diese Geschichte sollte ebenfalls Teil des Spaziergang sein.

Viele Autor*innen denken beim Planen der Route erstmal an zwei wesentliche Handlungsorte. Erstens an den Ort, an dem der Hauptkonflikt eskaliert und zweitens an den, an dem die Geschichte endet.

Schau mal, wie lange der Laufweg zwischen diesen beiden Punkten ist. Dein Startpunkt sollte mindestens genauso weit entfernt vom Mittelpunkt liegen wie dieser vom Endpunkt. Das heißt, deine Geschichte (und damit auch die Route) ist in etwa doppelt so lang wie die Erzählzeit zwischen diesen beiden Ereignissen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass nicht nur der Haupthandlungsort stimmt, sondern auch die Umgebung drumherum zur Entwicklung der Geschichte und deiner Figur passt.

Um ein Gefühl für die Länge der Route zu bekommen, kannst du sie zum Beispiel auf Google Maps eingeben. Diese Route variierst du dann anhand der geschätzten Wegzeit. So siehst du, welche anderen Orte ebenfalls in Reichweite liegen. Oder du pinnst deinen Stadtplan auf eine Pinnwand, steckst die Route ab und misst ihre Länge mit einem Faden, den du daran entlang spannst. So bekommst du auch ein ganz gutes Gespür für die Entfernungen der Orte entlang deiner Route. 

Weg und Motivation koppeln

In deinem Roman ist die Handlung vielleicht über viele Orte verteilt. Für deinen Audiowalk musst du sie jetzt auf einige wenige Orte und Wege komprimieren. Auch wenn der Ausschnitt, den du dir ausgesucht hast, bereits ganz gut zu Route und Timing passt: deine Hörer wollen nicht nur der Handlung folgen, sondern auch deine Figur kennenlernen, und zwar nach und nach, zusammen mit den Orten, die sie aufsucht.

Die Beziehung deiner Figur zu einem bestimmten Ort kann sehr vielschichtig sein. Erinnerungen überlagern sich mit der aktuellen Situation, Erwartungen mit dem, was tatsächlich eintritt. Der Ort, an dem ich meine große Liebe kennengelernt habe, wirkt auf mich anders als der, an dem mir neulich jemand mein Handy geklaut hat. Dabei hätte beides am gleichen Ort geschehen können.

Wenn es also entscheidende Momente in der Backstory deiner Figur gibt, die im Roman eigentlich ganz woanders spielen, dann überleg dir, ob sie nicht auch auf der Route ihren Platz finden. Oder ob du irgendwo ein kleines Detail entdecken kannst, das deine Figur an eine bestimmte Situation oder einen anderen Menschen erinnert. Das kann die Farbe oder ein Schriftzug an einer Fassade sein, ein Straßenname, ein Geräusch, ein Geruch. Sogar etwas, das eben nicht da ist. Etwas, das die Figur vermisst. Oder etwas, das sie fürchtet, etwas, das hinter der nächsten Ecke lauern könnte.

Ich habe bislang die Erfahrung gemacht, dass es weniger die konkreten Handlungsorte sind, die dazu beitragen, ob eine Geschichte begeistert oder nicht, und mehr die Wahrnehmung, Erinnerungen und Erwartungen der Figur, mit der sie ihrer Umgebung gegenübertritt. Wenn wir unsere Nutzer fragen, was ihnen an einer Geschichte besonders gut gefallen hat, dann sagen sie oft so etwas wie “dass ich die Stadt um mich herum aus der Sicht von jemand anders entdecken konnte” oder “wie die Figur auf die Dinge blickt. Das hat mir eine ganz andere Perspektive gegeben”.

Wenn du also etwas aus deinem Roman oder eine Kurzgeschichte für Storydive verwenden möchtest, dann nimm etwas Abstand zu den bereits vorgegebenen Handlungsorten. Versetz dich stattdessen in deine Figur hinein. Frag dich, wie sie die Umgebung wahrnimmt, versuche Anknüpfungspunkte zu ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft zu finden. Gib ihr eine Motivation, sich auf genau dieser Route zu bewegen. Konfrontiere sie mit sich verändernde Bedingungen. Wenn dir das gelingt, kannst du deine Geschichte beinahe überall erzählen.

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