2021 ist der 40. Geburtstag des Audiowalks. Grund genug, sich anzuschauen, wie dieses Format sich entwickelt hat und mit welchen anderen Kunstformen es verwandt ist.
Die Pionier*innen
Die Idee zum Audiowalk gab es schon vor einer Technologie für mobile Audiowiedergabe. Der niederländische Fluxus-Künstler Willem de Ridder etwa experimentierte in den 1970er Jahren mit Kofferradios und Kassettenspielern beim Spazierengehen im öffentlichen Raum. Kurz nachdem der Walkman dann 1980 erschienen war, erstellte de Ridder mehrere Arbeiten für das neue Gerät, unter anderem “The Walk” für das Holland Festival in Amsterdam.
Heute wird häufig die Künstlerin Janet Cardiff mit den Anfängen des Audiowalks assoziiert. Sie verwendet dieses Format seit Beginn der 1990er als eine Art Umdeutung und Erweiterung des Audioguides in Museen. Ihre ortsspezifischen Audioarbeiten, die zum Beispiel in Museen zu hören sind, haben nicht das Ziel, andere Kunstwerke zu erläutern, sondern sind selbst Kunst. Andere Werke Cardiffs kann man außerhalb des Museums im öffentlichen Raum hören.
Raus aus dem Museum
Es ist eigentlich naheliegend, dass sich der Audiowalk aus dem Audioguide entwickelt hat: wie sollte ein Vermittlungsformat, das in beinahe jedem Museum präsent ist, nicht selbst Teil künstlerischer Auseinandersetzung werden? Und warum sollten Künstler*innen wie Cardiff nicht austesten, welche Möglichkeiten das Format noch bietet? Jedesmal, wenn ich mit Audioguides in Berührung komme, fällt mir auf, wie wenig sie die Chancen des ortsspezifischen Hörens nutzen. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass es sich in der allgemeinen Wahrnehmung bei einem Audioguide immer noch um ein Tool zur Wissensvermittlung handelt.
Flaneure und Flaneusen
Gleichzeitig gibt es noch andere Traditionen, die ebenfalls am Anfang des Audiowalks hätten stehen können. Das eine ist das Spazierengehen, das Flanieren – beziehungsweise “Umherstreifen”, wie es die Situationisten in den 50ern genannt haben. Für die Situationisten war die Stadt ein Abenteuerspielplatz, auf dem man den Alltag umdeuten und neu denken konnte. Ihr Ziel war die Vermischung von Kunst und Alltag und dieser Gedanke macht auch für mich Audiowalks im Wesentlichen aus. Meine große Faszination für das Format stammt sicherlich auch von den Möglichkeiten, die es bietet, dem Alltäglichen etwas Einmaliges abzugewinnen; dem Altbekannten eine neue Ebene hinzuzufügen.
Konkrete Musik
Eine andere Richtung, mit der ich mich erst wenig beschäftigt habe, obwohl mein erster eigener Audiowalk “Parallelwelten” in der Frankfurter Naxoshalle streng genommen in dieser Tradition steht, ist die Musique Concrete, die konkrete Musik. Hier haben Komponisten wie Pierre Schaeffer und Luc Ferrari schon in den 1950ern mit Field Recordings den Klang von Orten festgehalten und als sogenannte Soundwalks konserviert – ohne, dass man sie jedoch zur damaligen Zeit vor Ort hätte anhören können. Es ging also weniger darum, etwas für das Hören vor Ort zu schaffen als darum, den Ort selbst hörbar zu machen. Auch heute arbeiten viele Audiowalkproduzent*innen mit Aufnahmen von vor Ort. Dadurch, dass ich als Zuhörerin etwas hören kann, das in der Vergangenheit am gleichen Ort geschehen ist, überlagern sich verschiedene Zeitebenen, was je nach Thema sehr reizvoll sein kann.
Theater und Performance
Last but not least die Tradition, aus der ich selbst komme: die Theaterperformance. In den letzten Jahren wurden Audiowalks vor allem von Theater- und Performancegruppen wie Rimini Protokoll, LIGNA oder Blast Theory produziert. Diese Audiowalks stellen ihre Zuhörer*innen oft in den Mittelpunkt einer ambivalenten Erfahrung, zu der sie sich verhalten müssen. In diesen Audiowalks wirst du zum Beispiel dazu aufgefordert, eine Bank zu überfallen oder schlüpfst in die Rolle eines Stasi-Spitzels. Die Faszination von Theatermacher*innen für das Format Audiowalk liegt möglicherweise darin, dass es eine im Theater sonst seltene, intime “One-to-One” Situation ermöglicht, in der der Rezipient zugleich zum Akteur wird. Unbeteiligtes Zuschauen ist hier nicht möglich.
Film und Kino
Wo der Audiowalk aber sicher nicht herkommt: aus dem Kino. Oder doch? Wie ich an anderer Stelle schon geschrieben habe, sind Audiowalks nur auf den ersten Blick ein auditives Medium. Indem das Gehörte immer im Kontext zur aktuellen Umgebung steht, also sozusagen den Soundtrack dazu liefert, funktioniert ein Audiowalk nur durch Einbeziehung der übrigen Sinne. Damit gehören Audiowalks eher zu den audio-visuellen Medien.
Das ist aber nicht die einzige Nähe zum Film. Tatsächlich haben beide Medien noch einiges andere gemeinsam. Ein Film wird beispielsweise in der Regel um eine Hauptfigur herum aufgebaut. Alles um diese Hauptfigur herum bezieht sich auf sie und erzählt einen Teil der Geschichte mit. Diese bis ins kleinste Detail mit Bedeutung aufgeladene Inszenierung von Räumen ist ein besonderes Erzählmittel von Filmen. Alles, was wir sehen, ist bewusst gewählt und hat eine Bedeutung für die Figur. Verschiedene Räume stehen für verschiedene moralische Prinzipien. Und wenn die Hauptfigur traurig ist, regnet es.
Ein anderer entscheidender Punkt ist, dass Filme uns den Ausschnitt ihrer Realität zeigen, der für die Entwicklung der Figur von Bedeutung ist. Filme knüpfen beim Erzählen sehr enge Kausalketten, selten geschieht etwas ohne Konsequenzen. Audiowalks lenken den Blick ihrer Zuhörer*innen ebenfalls auf ganz bestimmte Details. Es ist fast, als führte die Stimme in deinem Ohr Regie in einem Film, der gerade vor deinen Augen entsteht.